Titel: Versuche über Torsion rechteckig-prismatischer Stäbe.
Autor: August Hempelmann
Fundstelle: Band 322, Jahrgang 1907, S. 773
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Versuche über Torsion rechteckig-prismatischer Stäbe. Von August Hempelmann, Diplomingenieur. Versuche über Torsion rechteckig-prismatischer Stäbe. Einführung. Für den Verdrehungswinkel eines prismatischen, rechteckigen Stabes unter Torsionsbelastung wird zur Zeit fast allgemein die Formel D=CMGb2+c2b3c3 benutzt, in welcher bedeutet: D den Drall, d.h. die Verdrehung auf die Längeneinheit,1) M das Torsionsmoment in kg/mm, G den sogenannten Gleitmodul in kg/qmm, b u. c die halben Seiten des rechteckigen Querschnittes in mm. Der konstante Faktor C wird innerhalb ziemlich weiter Grenzen, nämlich von 0,1875 bis 0,2812) verschieden angegeben, so daß die nach der Formel berechneten Werte Unterschiede von rd. 50 v. H. in bezug auf den kleineren Wert ergeben können. Da keine Aussicht vorhanden ist, die Unsicherheit durch theoretische Erwägungen zu beseitigen, so kann man nur auf experimentellem Wege prüfen, welcher der verschiedenen Werte von C der Wahrheit am nächsten kommt. Einen Beitrag zur Klärung dieser Frage bilden die in vorliegender Arbeit beschriebenen Versuche, welche ich im Mechanischen Laboratorium der Technischen Hochschule zu Karlsruhe durchgeführt habe. Für die Anregung sowohl wie für fortlaufende Unterstützung bin ich Herrn Geh. Hofrat Prof. E. Brauer zu wärmstem Dank verpflichtet. Nachdem eine ältere Theorie die Torsionsbeanspruchung unter der Annahme eben bleibender Normalschnitte behandelt hatte, hat bekanntlich de Saint-Venant in seinen berühmten Aufsätzen3) gezeigt, daß diese Annahme für andere als kreisförmige Querschnitte nicht mit der Wirklichkeit in Uebereinstimmung zu bringen ist. De Saint-Venant hat seine Untersuchungen über die Spannungsverteilung und Formänderung prismatischer Stäbe bei reiner Drehungsbelastung auf Grund der mathematischen Elastizitätstheorie aufgestellt. Diese Betrachtungen haben sich nicht so eingeführt, wie es ihrer Bedeutung wohl entsprochen hätte; sie führen zu ziemlich umständlichen Entwicklungen für die verschiedenen Querschnitte, insbesondere für den hier näher zu behandelnden rechteckigen Querschnitt. Hierin liegt wohl der Grund, daß Grashof4) versucht hat, das Problem auf etwas andere, einfachere Weise zu behandeln. L. Henneberg, der diese beiden Methoden – die de Saint-Venantsche und die von Grashof herrührende – nach ihren Voraussetzungen und Ergebnissen miteinander vergleicht, sagt am Schlusse seiner Betrachtungen5) von der letzteren, die er „technische Methode “ nennt: „Man muß es sich zur Regel machen, keine Formel, die sich durch die technische Methode ergeben hat, bei seinen Berechnungen zu verwenden, von der nicht durch Versuchenachgewiesen ist, daß sie eine genügende Annäherung an die tatsächlichen Spannungsverhältnisse liefert. Hier ist dem kontrollierenden Experiment ein weiter Spielraum gegeben“. –
[Textabbildung Bd. 322, S. 772]
Fig. 1.
Bei Ermittlung der Spannungsverteilung nach Grashof ergeben sich folgende Formeln (Fig. 1) für τy und τz:6) Missing or unrecognized delimiter for \left für die resultierende Spannung τ τ=916Mbcz2c4(1y2b2)2+y2b4(1z2c2)2 2) und die größte Schubspannung τmax, wenn c > b und y = b, z = 0 ist zu τmax=916Mb2c . . . . . 3)7)
Der Drallwinkel nach verschiedenen Berechnungsverfahren. I. Verfahren nach Föppl. Föppl bestimmt den Drallwinkel auf Grund der Arbeit8). Die elastische Energie eines tordierten Stabes f. d. Längeneinheit beträgt A=12MD . . . . . . 4) Ebenso groß muß die in den einzelnen Volumenelementen (d V) vorhandene Deformationsarbeit sein. Diese innere Arbeit ergibt sich aus der Gleichung A = ∫dV ∫(τyδγy + τzδγz) . . . 5) Nun ist bekanntlich τy= G . γy, τz= G . γz, τy2 + τz2 = τ2, dV = l . dF . l = 1. Somit läßt sich schreiben A = ∫dF ∫(yδγy + Gγzδγz) oder A=12Gτ2dF . . . . . 6) Aus Gleichung 4 und 6 folgt A=12MD=12Gτ2dF oder D=1GMτ2dF, nach Gleichung 2 ist τ2=0,316M2b2c2[z2c4(1y2b2)2+y2b2(1z2c2)2], (916)2=0,316. D=40,316Mb6c6G[(z2b42z2b2y2+z2y4)dydz+(y2c42y2c2z2+y2z4)dydz], D=40,316Mb6c6G[845b5c3+845b3c5], D=9916164845MGb2+c2b3c3, und wir erhalten einen ersten Wert für den Drall: D=940MGb2+c2b3c3; 940=0,225 . . . 7) II. Verfahren nach Grashof. Grashof leitet für den Drehungswinkel eine theoretische Formel ab; er findet für den Drall9) D=932MG(1b3c+1bc3). Daraus ergibt sich D=932MGb2+c2b3c3; 932=0,281 . . 8) III. Ein dritter Wert für D nach Grashof. Aus Gleichung 4 und 9 läßt sich die Arbeit berechnen, welche ein Stab bei gegebener Anstrengung in sich aufzunehmen vermag. A=M22G932b2+c2b3c3 . . . 9) M durch τmax (Gleichung 3) ausgedrückt A=τmax22G89bc(b2+c2), oder mit F = 4 b . c A=τmax22G29b2+c2τ2F . . . 10) Nun liefert nach den Wertheimschen Versuchen10) Gleichung 9 etwas zu große Werte. Mit Rücksicht darauf hat Grashof11) Gleichung 10 mit einem Korrekturwert 23n multipliziert. A=τmax22G427nb2+c2c2F, n wird nun als Mittelwert = 1,35 gesetzt, A=τmax22Gb2+c25c24bc . . 11) Nach Einsetzung des Wertes für τmax berechnet sich D mit D=2AM=(916)2Mb4c2b2+c25c24bcG D=81320MGb2+c2b3c3; 81320=0,253 . . . 12) IV. Verfahren nach Bredt. Eine andere Näherungstheorie zur Torsionsfestigkeit ist von Bredt aufgestellt worden.12) Nach ihm lautet die Formel für den Drall D=12FGτds . . . . . . . 13) für den vierten Teil des Rechtecks, F = b . c (Fig. 1) ergibt sich τds=0cτzdzb0τy(dy)=0c(τz)y=bdz+0b(τy)z=0dy. Nach Einsetzung der Werte findet man τds=38Mb2+c2b2c2 Damit wird D=12bcG38Mb2+c2b2c2 und wir erhalten einen vierten Wert D=316MGb2+c2b3c3; 316=0,1875 . 14) V. Ein fünfter Wert für D. Aus Gleichung 13 τds = 2GFD läßt sich für ein Flächenelement dy . dz die schon von Bredt gegebene Gleichung13) δτzδyδτyδz=2GD . . . . . 15) ableiten. Diese Gleichung ist nun mit dem von Grashof angenommenen Spannungsgesetz und dem Resultate in den Gleichungen 1 nicht zu vereinigen, denn wir erhalten aus Gleichungen 1 für δτzδy=916Mb3c3(c2z2) δτyδz=916Mb3c3(b2y2)), und der Drall wird damit D=932MGb2+c2y2z2b3c3; 932=0,281 . . 16) Für z = 0, y = 0 erhalten wir die von Grashof abgeleitete, theoretische Formel (Gleichung 8). Für die Mitte der großen Seite, z = 0, y = b, wird D=932MG1cb3 für die Mitte der kleinen Seite, y = 0, z = c, wird D=932MG1bc3 und für die Ecke, y = b, z = c wird D = 0. Der Drallwinkel ist also in den verschiedenen Elementen verschieden; das Resultat stimmt nicht mit der Hypothese überein, daß die Querschnitte sich in der yz Projektion nicht ändern, da D von y und z nicht unabhängig ist. (Fortsetzung folgt.)