Titel: Die Anwendung von Schwebebahnen im Hüttenwerksbetriebe.
Autor: Georg von Hanffstengel
Fundstelle: Band 323, Jahrgang 1908, S. 580
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Die Anwendung von Schwebebahnen im Hüttenwerksbetriebe. Von Oberingenieur Georg von Hanffstengel, Leipzig. Die Anwendung von Schwebebahnen im Hüttenwerksbetriebe. Die außerordentliche Verbreitung, welche Drahtseilbahnen und Hängebahnen mit elektrischem Einzelantrieb neuerdings in Betrieben aller Art gefunden haben, erklärt sich namentlich daraus, daß die Hängebahn beliebig hoch über dem Boden geführt werden kann und daher keinen für Fabrikationszwecke verwertbaren Raum fortnimmt. Hierzu kommen aber noch einige andere Gründe. Die Hängebahn ist sehr wenig dem Verschleiße ausgesetzt, weil alle empfindlichen Teile außerhalb des Bereiches des Fördergutes liegen und infolgedessen nicht verschmutzen können. Nur der solide ausgeführte Wagenkasten selbst kommt mit dem Material überhaupt in Berührung. Andererseits hat die Einführung der neueren Verbesserungens. D. p. J. 1904, 319, S. 186. die Möglichkeit an die Hand gegeben, Drahtseilbahnwagen ohne Lösung vom Seile nicht nur senkrecht, sondern auch wagerecht beliebig abzulenken, während fast alle anderen Förderer an eine senkrechte Ebene gebunden sind. Daraus ergeben sich weitgehende Anpassungsfähigkeit an örtliche Verhältnisse, geringer Bedarf an Bedienung und größte Schonung des Materials, das vom Beginn des Transportes bis zu seiner Bestimmungsstelle in ein und demselben Gefäß erschütterungsfrei befördert wird. An Anschmiegungsfähigkeit übertroffen wird die Drahtseilbahn nur noch von der Hängebahn mit elektrischem Einzelantrieb, deren Wagen sich ganz unabhängig von einem Zugmittel überall dort selbsttätig bewegen können, wo eine Fahrschiene und eine Schleifleitung liegen. Auch ist dieses Bahnsystem noch anspruchsloser in Bezug auf Bedienung, da all und jedes Wagenschieben, wie es bei Drahtseilbahnanlagen immer noch zwischen Belade- und Kuppelstelle notwendig ist, fortfällt. Der Arbeiter kann durch einen einfachen Schalter die Wagen genau an der gewünschten Stelle zum Halten bringen und wieder abfahren lassen, sofern alle diese Vorgänge nicht vollkommen selbsttätig ohne irgend welche menschliche Tätigkeit geschehen. Die Elektrohängebahnen sind nicht mit den amerikanischen sogen. Telpherbahnen zu verwechseln, die ja ebenfalls auf dem Prinzip des elektrischen Einzelantriebes beruhen, denn bei dem Telphersystem ist immer noch Führerbegleitung notwendig, weshalb bei größeren Fördermengen die Wagen zugweise zusammengekuppelt werden müssen. Dies widerspricht aber einer der Grundbedingungen für erfolgreiche Anwendung der Hängebahnen, daß nämlich die Last nicht konzentriert werden darf, weil sonst die Gleise, die ja im Gegensatz zur Standbahn nur an einzelnen Punkten unterstützt sind, zu schwer werden und die Anlage unrentabel machen. Bahnen mit einzeln fahrenden Wagen sind, zuerst Deutschland zur Ausführung gekommen, und zwar durch die Firma Adolf Bleichert & Co. in Leipzig, die auch den Namen „Elektrohängebahn“ erfunden hat. Eine Hauptbedingung für den sicheren Betrieb derartiger Bahnen ist, daß die Wagen sich selbsttätig steuern, damit sie nicht aufeinanderfahren oder in Weichen und Kreuzungen zusammen| stoßen. Durch das Bleichertsche BlocksystemD. R. P. 184147. ist diese Forderung in sehr vollkommener Weise und mit einfachen Mitteln erfüllt worden. Falls ein Wagen dem anderen auf der freien Strecke oder an Kreuzungspunkten zu nahe kommt, so wird, da der erste Wagen die betreffende Strecke der Fahrleitung stromlos gemacht hat, der zweite Wagen zurückgehalten, bis der erste sich in sicherer Entfernung befindet, worauf der andere sich wieder selbsttätig in Bewegung setzt. An der Beladestelle ist dies besonders wichtig, weil hier die Wagen häufig längere Zeit warten müssen. Die Befürchtungen, welche anfänglich von manchen Hütteningenieuren gehegt wurden, daß die empfindlichen Teile der Elektrohängebahn dem rauhen Hüttenbetriebe nicht gewachsen sein möchten, sind durch die Erfahrung vollständig widerlegt worden. Eine derartige Anlage befindet sich bereits seit vier Jahren auf dem Gichtplateau eines Hochofens in Betrieb, ohne daß die Betriebssicherheit irgendwie nachgelassen hätte. Textabbildung Bd. 323, S. 580 Fig. 1.Kohlenförderanlage der Wigan Coal and Iron Company. Die Einführung der Schwebebahnen verschiedenen Systems in den Hüttenbetrieb hat sich in folgender Weise entwickelt. Zuerst verwandte man Drahtseilbahnen, um Kohle und Erz auf mehr oder minder große Entfernungen von der Grube, der Eisenbahn oder dem Schiffe nach dem Werk zu befördern. Dann aber kam man darauf, den Vorteil der Schwebebahn, daß sie anderweitig benutzte Grundstücke, Verkehrswege und Gebäude unbehindert überschreiten kann, auch für den Transport im Innern der Werke auszunutzen. Ein sehr schönes Beispiel hierfür ist die Anlage der Wigan Coal and Iron Company (Fig. 1). Es handelte sich hier darum, die Kohle von einem Förderschacht nach dem durch verschiedene Bauten vom Schacht getrennten Vorratsturm der Koksofenbatterie zu schaffen. Die Aufgabe wurde in allereinfachster Weise dadurch gelöst, daß man zwei Drahtseile von etwa 110 m Länge ohne Unterstützung zwischen Fördergerüst und Kohlenturm ausspannte. Die Drahtseilbahnwagen laufen gefüllt zum Kohlenturm, entleeren sich und kehren, nachdem sie die Umkehrscheibe selbsttätig umfahren haben, zum Schacht zurück. In derselben Weise können Drahtseilbahnen das Erz von der Grube oder den Koks von den Ofenbatterieen aus direkt auf den Hochofen fördern (Fig. 2). Häufig liegt aber der Fall so, daß die Rohstoffe mit der Bahn ankommen. Sie werden dann, statt auf einen offenen Lagerplatz, neuerdings meistens in Hochbehältern gelagert, aus denen sich das Material durch einfaches Oeffnen eines Verschlusses in ein Transportgefäß abziehen läßt. Diese Füllrümpfe werden gewöhnlich nahe dem Hochofen angeordnet. Es empfiehlt sich dann, statt eines Drahtseiles eine feste Brücke nach der Gicht hinauf zu bauens. D. p. J. 1907, 323, S. 168, Fig. 43., auf der die Hängebahnwagen in bekannter Weise durch ein Zugseil hinauf befördert werden, um sich oben abzukuppeln und von dem auf der Gicht befindlichen Bedienungspersonal nach dem Ofen geschoben und dort entleert zu werden. Gewöhnlich werden mehrere Oefen durch leichte Brücken verbunden und dann für alle Oefen zusammen zwei Bahnen erbaut, die sich gegenseitig als Reserve dienen. Die Steigung kann 45° und darüber betragen (Fig. 3). Textabbildung Bd. 323, S. 581 Fig. 2.Bleichertsche Drahtseilbahn von 3,9 km Länge zur Verbindung der Koksöfen mit der Hochofengicht. Textabbildung Bd. 323, S. 581 Fig. 3.Drahtseilbahnwagen mit Bleichertschem Kuppelapparat „Automat“ für Unterseil auf einer Steigung von 45°. Die einzige Unvollkommenheit, die diesem System noch anhaftete, war die, daß auf der Hüttensohle und auf der Gicht Mannschaft zum Wagenschieben notwendig war, wenn auch infolge der geringen Entfernungen und der viel leichteren Beweglichkeit der Wagen gegenüber dem alten Betriebe mit Vertikalaufzügen und Rollwagen außerordentlich an Personal gespart wurde. Hier griff nun der elektrische Einzelantrieb ein, der es ermöglichte, die Wagen von der Beladestelle bis zum Beginn der Drahtseilbahnstrecke und ebenso von der Endstation der Schrägstrecke bis zum Hochofen selbsttätig fahren zu lassen, so daß jetzt nur noch das Oeffnen der Füllrumpfverschlüsse und das Kippen der Wagen mit der Hand geschehen muß. Die Wagen kuppeln sich, ohne anzuhalten, vor dem Beginn der Steigung selbsttätig an das Zugseil an und oben selbsttätig wieder ab. Auf der Schrägstrecke ist die Stromzuleitung unterbrochenDie Vereinigung von elektrischem und Seilbetrieb ist der Firma Bleichert durch Patent geschützt.(Schluß folgt.). Dieses System der „Elektroseilbahn“, mit dem sich auch die schwierigsten Aufgaben spielend bezwingen lassen, ist von ganz besonderer Wichtigkeit für ältere Werke, bei deren Disposition die Rücksicht auf den Transport der Materialien noch nicht in erster Linie maßgebend gewesen ist, denn sie gestattet auch unter den schwierigsten Verhältnissen den Transport planmäßig zu gestalten. Die Behälter dürfen in ganz beliebiger Entfernung von den Hochöfen aufgestellt werden und können von ihnen durch andere Werksanlagen, wie Gießhallen, Gebläsehaus und dergleichen, getrennt sein. Mit der Vergrößerung der Entfernung vermehrt sich lediglich die Zahl der zur Besetzung der Strecke nötigen Wagen, die Förderleistung und die Löhne für die Bedienungsmannschaft aber bleiben genau dieselben.