Titel: Untersuchungen über die Zementation von Stahl.
Autor: K. Arndt
Fundstelle: Band 324, Jahrgang 1909, S. 359
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Untersuchungen über die Zementation von Stahl. Von K. Arndt, Charlottenburg. Untersuchungen über die Zementation von Stahl. F. Giolitti berichtet über Versuche, durch die er festgestellt hat, wie rasch bei verschiedenen Temperaturen Kohlenstoff in Eisen hineinwandertGazetta Chimica Italiana, Jahrg. 38, 2. Hälfte, S. 258–275 (1908).. Diese Versuche wurden zum Teil in dem Stahlwerk der Italienischen Aktiengesellschaft Gio. Ansaldo Armstrong & Co. zu Cornigliano Ligure, zum Teil in anderen Eisenhütten ausgeführt. Bei Armstrong wurde ein einfacher Gebläseofen mit festem Brennmaterial benutzt, in dessen Glühraum von 130 × 115 cm Bodenfläche und 55 cm Höhe 4 Kästen von 35 × 35 × 50 cm eingesetzt werden konnten. Die Kästen bestanden aus Stahlplatten und waren mit Schamotte bekleidet. Auf den Boden jedes Kastens wurde eine dichte Lage des zementierenden Materials gelegt, darauf folgten zwei Stahlstäbe von 8 × 8 × 40 cm, zwischen und über die wieder zementierendes Material bis zur Gesamthöhe von 32 cm geschüttet wurde. Darüber kamen Schamottesteine und schließlich eine Stahlplatte als Deckel. In den anderen Hüttenwerken wurde immer ein großer Zementierofen mit Gasfeuerung benutzt, in dessen einer Ecke, zwischen den Mündungen zweier Gaskanäle und unter ihnen, ein Kasten gesetzt wurde, der aus Schamottesteinen auf einer Stahlplatte aufgebaut war und die lichten Abmessungen 40 × 40 × 80 besaß; er wurde ganz ähnlich, wie oben beschrieben, angefüllt. In dem großen Ofen war die Temperatur viel leichter konstant zu halten, wie in dem kleinen Ofen. Die Temperatur wurde in Cornigliano mit Seegerkegeln, in allen anderen Fällen mit einem kalorimetrischen Pyrometer gemessen. Als zementierendes Material wurde bald reine Holzkohle, bald Gemische von Holzkohle und Tierkohle oder von Holzkohle mit Blutlaugensalz und Bariumkarbonat benutzt. Zu Vorversuchen wurden Stäbe aus Siemens-Martinstahl mit 40 × 40 mm Querschnitt verwandt, die aus Barren von 140 × 140 mm durch Ausschmieden erhalten waren; die chemische Zusammensetzung des Stahls war: Kohlenstoff 0,116,%, Mangan 0,595, Silizium 0,016, Phosphor 0,072, Schwefel 0,061. Der „Zement“ bestand aus einem Gemisch gleicher Teile Holzkohlenpulver (mit 5% Blutlaugensalz) und trockenen Bariumkarbonats. Die Wirkung dieses Zements gleicht in vielen Punkten der eines karburierenden Gases. Der Zement wurde für jeden Versuch erneuert. Wie tief die Zementation eindrang, wurde nach einem scheinbar groben, in Wirklichkeit (wenn man sorgsam ist) sehr genauen Verfahren festgestellt, indem man nach jedem Versuche die Stahlstäbe quer durchschnitt, die ebene Schnittfläche polierte und einige Minuten in eine 50prozentige Jodkaliumlösung, die 10% Jod enthielt, eintauchte. Dann erscheint die karburierte Zone in dunkelgrauer Farbe, die dort scharf absetzt, wo der Kohlenstoffgehalt unter 0,2% sinkt. Die Trennungslinie ist so ausgeprägt, daß man mit den Zirkel die Breite dieser Zone bis auf einige Zehntelmillimeter ausmessen kann. Die Zahlentafel 1 gibt einige der Hauptergebnisse für 5 Temperaturabschnitte: Zahlentafel 1. Dauer derZemen-tationin Stunden Tiefe der zementierten Zone in mm bei den betreffendenTemperaturen c 700° 750–780° 850–900° 950–1000° über 1000°   12 0,75 1,10 1,95 2,45 2,65   24 1,75 1,60 2,85 3,70 4,00   36 1,50 2,25 3,65 5,10 5,80   48 1,90 2,80 4,50 5,90 7,30   60 2,20 3,15 5,30 7,00 8,45   72 2,55 3,60 5,90 7,80   84 2,80 3,95 6,75 8,70   96 3,00 4,50 7,45 108 3,30 4,95 8,10 120 3,45 5,45 8,75 Daß die Temperaturen nicht konstant waren, nur in gewissen Grenzen gehalten werden konnten, lag an den Mängeln des kleinen Ofens, der außerdem während der Nacht nur von einem Arbeiter überwacht wurde, der selten genügend aufpaßte. Textabbildung Bd. 324, S. 360 Fig. 1. Die Werte der Zahlentafel i sind im Schaubude (Fig. 1) wiedergegeben. Man sieht, wie mit wachsender Temperatur der Kohlenstoff rascher in das Eisen eindringt und wie andererseits bei konstanter Temperatur dieses Eindringen sich mit wachsender Tiefe der Zementation verlangsamt. Als Giolitti Stahle von verschiedenem Kohlenstoffgehalt zementierte, machte er folgende auffällige Beobachtung: Wenn man unterhalb 850–900° arbeitet, so wächst die Zementierungsgeschwindigkeit (in gewissen Grenzen) mit der Kohlenstoffmenge im Stahl; dagegen oberhalb 900° nimmt die Zementierungsgeschwindigkeit (wenn auch langsam) mit wachsendem Kohlenstoffgehalt des Stahles ab. Textabbildung Bd. 324, S. 360 Fig. 2. Diesen Unterschied im Verhalten erklärt Giolitti folgendermaßen: Alle hypoeutektischen Stahle (mit weniger als 0,9% Kohlenstoff) enthalten zwischen 690° und 900°Die obere Grenze ändert sich etwas mit den Kohlenstoffgehalt des Stahles. Ferritkristalle (α- oder β-Eisen), umgeben von Martensit oder einer festen Lösung von Zementit in γ-Eisen und wenig β-Eisen. Für einen gegebenen hypoeutektischen Stahl wächst die Menge des Ferrits mit sinkender Temperatur, während gleichzeitig die Menge des Martensits kleiner wird und bei 690° am kleinsten ist; bei dieser Temperatur zerfällt der 0,9% Kohlenstoff enthaltende und mit Kohlenstoff gesättigte Rest des Martensits gänzlich in das Eutektikum Ferrit-Zementit (Perlit). Bei einer gegebenen Temperatur, die zwischen den obigen Grenzen liegt, ist die Menge des Martensits, der als Rest bei der Ausscheidung des Ferrits zurückbleibt, um so größer, je größer der Kohlenstoffgehalt des betreffenden Stahls ist; daher muß der Martensit, der im Gleichgewicht mit Ferrit bei jeder Temperatur einen ganz bestimmten Kohlenstoffgehalt hat, sich bei der betreffenden Temperatur um so reichlicher bilden, je größer die Menge des verfügbaren Kohlenstoffs ist. Weil nun die einzige Form des Eisens, in der Kohlenstoff (oder Eisenkarbid) merkbar löslich ist, das im Martensit enthaltene γ-Eisen ist, so ist natürlich die Geschwindigkeit, mit der sich der Kohlenstoff löst, und damit die Diffusionsgeschwindigkeit um so größer, je mehr γ-Eisen mit der den Kohlenstoff abgebenden Substanz in Berührung steht. Aber, wie gesagt, bei einer bestimmten Temperatur (in den Grenzen zwischen 690° und 900°) enthält ein hypoeutektischer Stahl um so mehr γ-Eisen, je größer sein Kohlenstoffgehalt ist; und daher wächst natürlich mit dem Kohlenstoffgehalt des Stahls, der zementiert wird, auch – bei konstanter Temperatur – die Geschwindigkeit, mit welcher der Kohlenstoff in den Stahl hineindiffundiert. Was die Zunahme der Diffusionsgeschwindigkeit mit wachsender Temperatur anlangt, so lagern sich in den betrachteten Temperaturgrenzen zwei Einflüsse übereinander; der eine ist die Zunahme des γ-Eisens mit steigender Hitze, der andere besteht darin, daß ganz allgemein in allen festen Lösungen die „Beweglichkeit“ der Bestandteile mit der Temperatur größer wird. Infolge beider Einflüsse wächst von 700 bis 900° die Zementationsgeschwindigkeit sehr schnell, dagegen oberhalb 900°, wo der erste Einfluß sich nicht mehr bemerkbar macht, langsamer. Da außerdem oberhalb 900° nicht mehr die Menge des Martensits, sondern nur sein Kohlenstoffgehalt zunimmt, so entspricht jeder Vermehrung des Kohlenstoffgehalts in dem zu zementierenden Stahl eine Verminderung der Geschwindigkeit, mit welcher die Kohle in diesen Stahl hineinwandert. Jeder Stoff diffundiert ja in seine Lösung (ob sie fest oder flüssig sei) um so langsamer, in je größerer Konzentration er schon in der Lösung enthalten ist; diese Abnahme der Diffusionsgeschwindigkeit ist um so bedeutender, je näher die Lösung der Sättigung ist. Durch eine andere Versuchsreihe bestimmte Giolitti, wie sich der Kohlenstoffgehalt des zementierten Stahles von der Oberfläche in das Innere des Barrens ändert, indem er parallel der Oberfläche genommene Schichten analysierte. Diese zweite Versuchsreihe wurde in großen Oefen mit Gasfeuerung gemacht. Hier wurden zwei Formen von Stahlstäben benutzt, die einen von rundem, die anderen von rechteckigem Querschnitt. Nachdem die Zementation bei der gewünschten Temperatur die beabsichtigte Zeit gedauert hatte, wurde der Schamottekasten mit den Stahlstäben aus den Ofen gezogen und langsam (12–20 Stunden) abgekühlt. Dann wurde die Oberfläche der Stäbe sorgfältig gereinigt und eine Reihe von 0,5–1 mm dicken Schichten abgeschnitten. Von den runden Stäben wurden die Schichten auf der Drehbank abgenommen, indem man die beiden Kopfenden des Zylinders auf eine Länge von 5 cm unberührt ließ; das geschah, um die Stellen zu vermeiden, an denen die Zementation nicht nur von der Zylinderoberfläche, sondern auch von den Grundflächen des Zylinders aus erfolgt war. Fig. 2 zeigte den achsialen Schnitt eines dieser Barren; die schraffierte Fläche stellt den Schnitt durch die karburierte Zone dar; die gestrichelten Linien begrenzen die Schnitte der aufeinanderfolgenden vom Drehstahl abgeschnittenen Schichten. Von den rechteckigen Stäben ließ Giolitti die Schichten auf der Hobelmaschine abhobeln, indem auch hier die beiden Enden unberührt blieben. Die Drehspäne bzw. Hobelspäne wurden je nach den Schichten, denen sie entnommen waren, getrennt auf ihren Kohlenstoffgehalt nach dem Särnstrom-Corleisschen Analysenverfahren untersucht. (Der Kohlenstoff wird durch Chromsäure zu Kohlensäure verbrannt.) Der Stahl, aus dem die runden Stäbe bestanden, hatte folgende Zusammensetzung: Kohlenstoff 0,05%, Mangan 0,28%, Silizium 0,011%, Phosphor 0,035%, Schwefel 0,042%. Zum Zementieren dieser Stäbe wurde ein Gemisch von 70 Teilen Holzkohle mit 30 Teilen Tierkohle benutzt. In der Zahlentafel 2, welche die Ergebnisse enthält, bedeutet „Tiefe“ den Abstand der Außenseite jeder dünnen Schicht von der Oberfläche des Stabes. Zahlentafel 2. Tiefeinmm Kohlenstoffgehalt in v.H. nach Zementierung bei 850–880° C undder Glühdauer in Stunden I = 76 II = 60 III = 96 IV = 360   0,5 1,02 1,03 1,04 1,01   1,5 1,00 1,02 1,03   2,5 0,94 1,00 0,95   3,5 0,66 0,95 0,99   4,5 0,43 0,83 0,92 0,90   5,5 0,22 0,66 0,84   6,5 0,16 0,50 0,73 0,85   7,5 0,14 0,33   8,5 0,12 0,24 0,53 0,79   9,5 0,10 0,18 0,42 10,5 0,08 0,14 0,33 0,73 11,5 0,07 0,11 0,27 12,5 0,09 0,23 0,67 13,5 0,08 14,5 0,16 0,62 15,5 0,14 16,5 0,57 17,5 0,11 18,5 0,52 20,5 0,47 22,5 0,43 24,5 0,37 26,5 0,33 28,5 0,28 30,5 0,25 32,5 0,22 34,5 0,18 36,5 0,17 38,5 0,15 40,5 0,14 Die nach den Werten der Zahlentafel 2 aufgetragenen Schaubilder Fig. 3 zeigen, daß die Form der Kurve, welche den Zusammenhang zwischen Kohlenstoffgehalt und Tiefe der analysierten Schrift darstellt, sich mit der Dauer der Zementation wesentlich ändert. Der Kohlenstoffgehalt der obersten Schicht ist in allen vier Fällen fast gleich, hängt also nicht von der Dauer der Erhitzung ab. Die dem vierten, 360 Stunden währenden Versuch entsprechende Kurve IV zeigt eine sehr regelmäßige, fast bis aus Ende geradlinige Abnahme des Gehaltes mit der Tiefe; dagegen verläuft die für 36stündiges Erhitzen erhaltene Kurve I zuerst ein Stückchen mit geringer Neigung, fällt dann steil und biegt schließlich wieder nach rechts um. Die Gestalt der beiden anderen Kurven II und III liegt zwischen den beiden Formen I und IV. Diese verschiedene Kurvenform erklärt Giolitti folgendermaßen: Unterhalb 900° wächst bei Stahl, der weniger als 0,15% Kohlenstoff enthält die Diffusionsgeschwindigkeit oder (Absorptionsgeschwindigkeit) des Kohlenstoffes rasch mit wachsender Anfangskonzentration des Kohlenstoffs im Stahl. Sobald die äußeren Metallschichten ein wenig Kohlenstoff aufgenommen haben, wird der weitere Kohlenstoff viel schneller aufgenommen, während die Geschwindigkeit, mit welcher die Kohle in die benachbarten, tieferliegenden Schichten einwandert (die noch wenig Kohlenstoff enthalten, ihn daher nur langsam aufnehmen) viel kleiner bleibt. Infolgedessen werden die obersten Schichten, die in immer rascherem Tempo Kohlenstoff aufnehmen und ihn nur langsam weitergeben, bald stark karburiert, bevor die Kohlung eine merkliche Tiefe erreicht hat. Der Kohlungsgrad der obersten Schichten wird wachsen, bis der Punkt überschritten ist, bei dem die Ursachen für die rasche Zunahme der Diffusion mit ansteigendem Kohlenstoffgehalt verschwinden; dieser Punkt ist von der Temperatur abhängig, wie oben auseinandergesetzt wurde. Bei langer Dauer der Zementation verschwinden diese großen Unterschiede im Gehalt, weil allmählich auch in den tieferen Schichten (in abnehmenden Maße) die Absorptionsgeschwindigkeit zunimmt; dann fällt die Kurve gleichmäßig (Kurve IV). Textabbildung Bd. 324, S. 361 Fig. 3. Abnahme des Kohlenstoffgehaltes mit wachsender Entfernung von der Oberfläche nach Zementierung bei 850–880° C und bei verschiedener Glühdauer: I. 36 St., II. 60 St., III. 96 St., IV. 360 St. Entfernung der Schicht von der Oberfläche. Diese Erscheinungen müssen, wenn die gegebene Erklärung richtig ist, oberhalb 900° verschwinden und die Kurve muß die Form annehmen, die man gewöhnlich bei isothermer Diffusion erhält, wenn eine Substanz in eine andere feste Substanz hineinwandert, die während des Vorganges keine Zustandsänderung erfährt. Die drei Zementierungsversuche, die Giolitti bei 1050° anstellte, wurden mit rechteckigen Stäbengemacht vom gleichen Eisen, mit dem gleichen Zement und überhaupt möglichst unter den gleichen Bedingungen wie früher, (abgesehen von der Temperatur). Die folgende Zahlentafel 3 giebt die Ergebnisse dieser 3 Versuche. Textabbildung Bd. 324, S. 361 Fig. 4. Abnahme des Kohlenstoffgehaltes mit wachsender Entfernung von der Oberfläche nach Zementierung bei 1050° C und bei verschiedener Glühdauer. V. 24 St., VI. 36 St., VII. 96 St. Entfernung der Schicht von der Oberfläche. Zahlentafel 3. Tiefe in mm Kohlenstoffgehalt in v.H. nach Zementierung bei 1050° Cund der Glühdauer in Stunden V = 24 VI = 36 VII = 96   0,5 0,72 0,84 0,99   2,5 0,58   4,5 0,43 0,55 0,72   6,5 0,29   7,5 0,39   9,5 0,17 10,5 0,27 0,50 12,5 0,09 14,5 0,18 17,5 0,14 0,33 Zur Zahlentafel 3 (auf voriger Seite) gehören die drei Schaubilder V, VI und VII (Fig. 4). Giolitti setzt diese Untersuchung fort und will Versuchsreihen, die er im Laboratorium mit einem elektrischen Widerstandsofen von Heraens und thermoelektrischen Pyrometer angestellt hat, demnächst veröffentlichen. Im besonderen soll der Einfluß, den die Art des Zementes ausübt, näher festgelegt werden.