Titel: Die Materialfestigkeit und Zugspannung im fertig geschlagenen Niet.
Autor: M. Rudeloff
Fundstelle: Band 325, Jahrgang 1910, S. 402
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Die Materialfestigkeit und Zugspannung im fertig geschlagenen Niet. Von Professor M. Rudeloff. (Mitteilung aus dem Königl. Materialprüfungsamt zu Groß-Lichterfelde West.) Die Materialfestigkeit und Zugspannung im fertig geschlagenen Niet. Bei Beurteilung der Festigkeit von Nietverbindungen kommt vornehmlich in Frage der Gleitwiderstand zwischen den vernieteten Teilen und erst, wenn dieser überwunden ist, neben Biegungsspannungen in den Nieten deren Schubfestigkeit und der Widerstand der vernieteten Teile (Bleche usw.) gegen Verdrücken der Lochränder und Zerreißen. Die Aufeinanderfolge des Widerstandes gegen Gleiten und des Scherwiderstandes der Nieten ist bekanntlich darin begründet, daß das Niet infolge Schrumpfens beim Erkalten und infolge Verminderung seines Durchmessers unter der in ihm entstehenden Zugspannung das Nietloch nicht vollständig ausfüllt und daher Schubbeanspruchungen auf die Niete erst einwirken können, wenn die vernieteten Teile sich um den Unterschied im Halbmesser des Loches und des Nietschaftes gegen einander verschoben haben. Der Gleitwiderstand wird erzeugt durch die im geschlagenen Niet herrschende Zugspannung, die dadurch entsteht, daß die Länge des Nietes beim Erkalten abnimmt und die Nietköpfe nun gegen ihre Auflager gepreßt werden. Die Größe dieser Zugspannung im Niet ist vornehmlich abhängig von dem Betrag, um den das Niet nach Fertigstellung des Schließkopfes in der Länge schrumpft, ferner aber auch davon, wieviel von der beim Schrumpfen auftretenden Zugspannung dadurch wieder verloren geht, daß eventl. von der mit dem Erkalten des Nietes wachsenden Schrumpfspannung die jeweilige mit der Temperatur des Nietes sich ändernde Streckgrenze des Materials überschritten wird. Bezeichnet λ die Schrumpfung, d.h. die Ausdehnung, die das Niet von der Länge l in mm bei der Wärme-Ausdehnungszahl γ durch Erwärmen um erleidet, so ist für Eisen λ = t . l . γ = t . l . 0,0000123 mm. Bei verhinderter Verkürzung des Nietes infolge fester Auflage beider Nietköpfe entspricht dem Schrumpfen um λ die Zugspannung \sigma=\frac{\lambda\,.\,E}{l-\lambda}. Wenn man hierin mit Rücksicht auf den geringen Wert von λ einführt: l – λ = l, so ist angenähert \sigma=\frac{\lambda\,.\,E}{l}=\frac{t\,.\,l\,.\,\gamma\,.\,E}{l}=t\,.\,\gamma\,.\,E. Der Wert von E nimmt mit wachsendem t ab. Aus dem Dargelegten folgt, daß die Festigkeit einer Nietverbindung, wenn man von den Festigkeitseigenschaften der vernieteten Bleche absieht, bedingt wird durch die vom Zustande der aufeinander liegenden Flächen abhängigen Reibungszahl, von der im Niet herrschenden Zugspannungen, also von der Endtemperatur beim Nietschlagen, und schließlich von der Scherfestigkeit des Nieteisens. Zur Bestimmung des Gleitwiderstandes bei verschiedenen Pressungen (Zugspannungen im Niet) sind seit 1906 nach einem von mir angegebenen Verfahren mehrere Untersuchungsreihen angestellt, deren Besprechung einer besonderen Arbeit vorbehalten sind. Im Nachstehenden sollen die Ergebnisse einer für das Reichs-Marine-Amt ausgeführten Versuchsreihe besprochen werden, die bezweckte, festzustellen, wie groß die Veränderungen der Elastizitäts- und Festigkeitseigenschaften sind, die das Nietmaterial, wie es in der gewalzten Nieteisenstange vorliegt, bis zur Fertigstellung des geschlagenen Nietes erleidet. Als Probematerial standen zur Verfügung: 1. 2 Stangen Nieteisen von 1,35 cm ⌀ und 100 cm Länge aus Flußeisen, 2. 20 aus Abschnitten der unter 1 genannten Stange gepreßte Niete von 1,4 cm ⌀ und 4,0 cm Schaftlänge, und 3. eine Nietverbindung (Fig. 1, s. S. 403), die aus 2,0 cm dicken Platten unter Verwendung von 12 Nieten gleichen Ursprunges wie die unter 2 genannten Proben hergestellt war. Die Untersuchung erstreckte sich auf: 1. Zugversuche a) mit dem Nieteisen, b) mit gepreßten Nieten, und c) mit geschlagenen Nieten aus der Nietverbindung (Fig. 1) entnommen; 2. Scherversuche a) mit dem Nieteisen, b) mit gepreßten Nieten; 3.Kerbschlagversuche mit Proben in den drei Zuständen wie unter 1; 4.Kugeldruckproben zur Ermittlung der Härteänderung des Materials durch das Pressen und Schlagen des Nietes. 1. Zugversuche. Zur Ermittlung der Zugfestigkeit des Nieteisens wurden drei Stangenabschnitte (Versuch 1–3, Tab. 1) im Anlieferungszustande, d.h. ungeglüht und unbearbeitet, sowie zwei Abschnitte (Versuch 4 u. 5 a) nach dem Ausglühen bei 900° C und Abdrehen auf 0,72 cm ⌀ geprüft. Zur Ermittlung des Einflusses des Nietpressens und des Schlagens des fertigen Nietes auf die Zugfestigkeit des Eisens wurden ferner aus sechs gepreßten und aus den vier geschlagenen Nieten 5, 6 sowie 11 und 12 (Fig. 1), kleine Rundstäbe ebenfalls von 0,71–0,76 cm ⌀ entnommen und von ihnen je 4 bezw. 2 Stück ungeglüht (Versuch 13, 14, 13 a und 14 a sowie 5 und 6, Tab. 1) und je 2 Stück, nach vorherigem Ausglühen bei 900° C (Versuch 15, 16 und 11, 12, Tab. 1), geprüft. Um schließlich die Größe der bei der Nietverbindung in dem geschlagenen Niet herrschenden Zugspannung feststellen zu können, wurden Zugversuche mit fertig geschlagenen Nieten ausgeführt, bei denen die durch das Schlagen und Erkalten des Nietes hervorgerufene Spannung noch in der Probe herrschte (Probe 1 und 3, Tab. 2). Dies wurde dadurch ermöglicht, daß aus der Nietverbindung zylindrische Probestücke X von 2,8 cm ⌀ nach Fig. 2 herausgeschnitten wurden, die in der Mitte die Niete 1 und 3 enthielten (s. Fig. 1). Zum Einspannen wurden die beiden äußeren der drei Bleche, die Laschen a–a (Fig. 3) am Umfang mit Gewinde versehen und die Niete dann, unter Anschluß des Gewindes der Laschen a an Zugstangen, zerrissen. Zum Vergleich wurden ferner gleiche Probestücke X, die die Niete 2 und 4 (Fig. 1) enthielten, geprüft, bei Tabelle 1. Ergebnisse der Zugversuche mit Proben aus dem Nieteisen, sowie aus den gepreßten und geschlagenen Nieten. Textabbildung Bd. 325, S. 402 Probe Nr.; Zustand; Entnahme; der Probe; aus; Abmessungen; Durchmesser; Querschnitt; Messlänge; Spannungen kg/qcm; Streckgrenze; Bruch; Verhältnis; Bruchdehnung; Querschnitts vermindg.; Bruchaussehen; Mittel; wie eingeliefert, ungeglüht; Nieteisenstange; gepressten Nieten; fiertig geschlagenen Nieten: Nieteisenstange; nicht ermittelt; Mattgrau, feinschupoig, Trichterbildung. Tabelle 2. Zugversuche mit fertig geschlagenen Nieten. Nietdurchmesser = 1,4 cm; Nietquerschnitt = 1,54 qcm. ProbeNr.(s.Fig. 1) Zustand der Proben Mittlere Nietlänge(Abstand der Nietköpfe)in cm Verkürzung desNietes bei dessenEntnahme aus d.Nietverbindung– εcm Zugspannungdes Nietes in derNietverbindungσ = – ε Ekg/qcm Materialspannungim Nietschaftkg/qcm Be-merkungen vor nach Streck-grenzeσS BruchσB dem Freilegen des Schaftes 13 Schaft nicht freigelegt(s. Fig. 3) Anfangsspan-nung wie in der Verbindg. 40304080 (4550)(4140) Der Brucherfolgtedurch Durch-ziehen (Ab-scheren) derNietköpfe 24 Schaft freigelegt (s. Fig. 3)ohne Anfangsspannung 4,06534,0843 4,06334,0842 0,0006250,000031 125060 40604510 (4900)(4630) denen aber das Mittelstück b entfernt, der Niet n also spannungslos war. Textabbildung Bd. 325, S. 403 Fig. 1. Textabbildung Bd. 325, S. 403 Fig. 2. Textabbildung Bd. 325, S. 403 Fig. 3. Die beiden letztgenannten Proben dienten zugleich dazu, festzustellen, um wieviel die Niete in der Konstruktion (Nietverbindung) elastisch gedehnt waren, um aus dieser Dehnung, die bei Entfernung des Bleches b (Fig. 3) sich in Verkürzung des Nietes äußern mußte, die Zugspannung des geschlagenen Nietes wie folgt annähernd berechnen zu können. Bezeichnet λ die Gesamtverkürzung des Nietes beim Entfernen des Mittelstückes b (Fig. 3), l die an der Verkürzung teilnehmende Länge des Schaftes, E den Elastizitätsmodul des Eisens, so berechnet sich die Zug-Spannung die Nietes in der Konstruktion zu Die Messung der Verkürzung – λ erfolgte auf dem Dickenmesser von Zeiß durch Bestimmung der Gesamtlänge h zwischen den äußeren Kopfflächen und zwar α) nach dem Herausschneiden des Zylinders x (Fig. 2) aus der Nietverbindung, ß) nach dem Aufschneiden des Gewindes auf die Mantelflächen der beiden Laschen a (Fig. 3) und γ) nach dem Entfernen des Bleches b (Fig. 3). Jede Messung wurde viermal ausgeführt, wobei die in Tab. 3 zusammengestellten Einzelwerte erhalten sind. Tabelle 3. Längenänderungen des Nietes beim Lösen der Verbindung. ProbeNr. VersucheNr. Länge des Nietes in cm gemessen am heraus-geschnittenenZylinderα nach demGewinde-schneidenβ nach den Ent-fernen d. mitt-leren Blechesγ 2 1234 4,06544,06524,06524,0653 4,06474,06494,06504,0648 4,06324,06334,06334,0632 Mittel 4,0653 4,0649 4,0633 4 1234 4,08414,08454,08404,0847 Nichtermittelt 4,08394,08444,08394,0845 Mittel 4,0843 4,0842 Hiernach betrug die Verkürzung – λ bei Probe 2 – λ = α – γ = 0.002 cm. Dem entspricht bei der Gesamtlänge des Schaftes l = 3,2 cm und bei Annahme des Elastizitätsmoduls zu 2000000 kg/qcm, die Zugspannung \sigma=\frac{-\lambda}{l}\,.\,E=\frac{0,002}{3,2}\,.\,2000000=1250\mbox{ kg/qcm}. An Probe 4 konnte keine nennenswerte Verkürzung des Nietes bei dessen Freilegung festgestellt werden. Aus den Ergebnissen der Zugversuche (Tab. 1) ergibt sich, daß das Material der gepreßten Niete (Probe 15 u. 16) sowie das der fertig geschlagenen Niete (Probe 11 u. 12) nach dem Ausglühen annähernd die gleichen Festigkeitseigenschaften besaß wie das Material der Nieteisen-Stange (Probe 4 u. 5 a). Setzt man die Werte der letzteren gleich 100, so ergeben sich folgende Verhältniszahlen: σ S σ B δ l Nieteisenstange 100 (2390) 100 (4040) 100 (44,7) Gepreßtes Niet 103 (2470) 103 (4150)   97 (43,5) Fertig geschlagen. Niet   90 (2150)   97 (3910) 105 (47,0) Das ungeglühte Material besaß in den gepreßten und in den fertig geschlagenen Nieten (s. Proben 13–14 a und 5–6, Tab. 1) nahezu die gleichen Werte für σS und σB; während die der Nieteisen-Stange wesentlich niedriger liegen. Setzt man die letzteren wieder gleich 100, so erhält man folgende Verhältniswerte: σ S σ B Nieteisenstange 100 (2520) 100 (3890) Gepreßtes Niet 168 (4220) 127 (4930) Fertig geschlagenes Niet 160 (4020) 129 (5030) Vergleicht man schließlich noch die Werte der ungeglühten Proben mit denen der geglühten aus den gleichartigen Proben, indem man die letzteren gleich 100 setzt, so ergeben sich folgende Werte: σS σB δ Werte für die geglühten Proben 100 100 100 Un-geglühteProben NieteisenstangeGepreßtes NietFertig geschlagenes Niet 105171187 96119128 7189 Tabelle 4. Ergebnisse der Scherversuche, (s. S. 417.) ProbeNr. Zustand Entnahme Abmessungen Scherfestigkeit der Probe Durch-messerdcm doppelt.Quer-schnitt fqcm Bruch-be-lastungkg Span-nungτkg/qcm aus 17 wieein-geliefert,ungeglüht Niet-eisen-Stange 1,201,20 2,262,26 75007450 33203300 Mittel 3310 34 gepreß-tem Niet 1,201,20 2,262,26 94209660 41704270 Mittel 4220 28 geglühtbei850° C Niet-eisen-Stange 1,201,20 2,262,26 74107330 32803240 Mittel 3260 56 gepreß-tem Niet 1,201,20 2,262,26 79007010 35003100 Mittel 3300 Aus den angeführten Verhältniszahlen ergibt sich, daß die Streckgrenze σS und Brachfestigkeit σB des Nieteisens durch das Pressen des Nietes ganz erheblich gesteigert wird, daß diese Veränderungen durch Ausglühen, also auch durch das Erhitzen des gepreßten Nietes vor dem Schlagen wieder beseitigt werden, daß aber dann durch das Schlagen des Nietes wieder die gleichen, wenn nicht noch größere Festigkeitssteigerungen bewirkt werden, wie durch das Pressen des Nietes. (Schluß folgt.)