Titel: Neue Wege der Fahrzeugmotorentechnik.
Autor: Dierfeld
Fundstelle: Band 325, Jahrgang 1910, S. 677
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Neue Wege der Fahrzeugmotorentechnik. Von Regierungsbaumeister Dierfeld. (Schluß von S. 664 d. Bd.) Neue Wege der Fahrzeugmotorentechnik. III 2. Der Zylinder selbst rotiert. Einige Konstrukteure lassen den Zylinder rotieren, so daß dieser dann selbst als Abschlußorgan dient. Hierher gehört der Motor von Treugrove (Fig. 35), dessen Zylinder A von der Kurbelwelle aus mit halber Geschwindigkeit angetrieben wird und in einem feststehenden, wassergekühlten Gehäuse D rotiert. In dem Kopfe des Gehäuses D sind um 90 ° versetzt zwei Oeffnungen für Ein- und Auslaß, sowie diesen Oeffnungen diametral gegenüber die Zündkerze Z angebracht. Der Boden des Zylinders A hat nur eine einzige Oeffnung, die nacheinander Einlaßöffnung, Zündkerze und Auslaßöffnung Passiert und so das Arbeiten des Motors im Viertakt regelt. Zylinder und Gehäuse sind an ihrer Bodenfläche eingeschliffen. Durch Bolzen B, Mutter M und Feder F wird die Dichtungsfläche von A stets gegen die entsprechende Fläche des Gehäuses gepreßt. So wird die Abdichtung erzielt, in diesem Sinne wirken auch Kompressions- und Explosionsdruck. Die Feder F ist sehr kurz und stark, damit bei Wegunebenheiten die Dichtungsflächen nicht auseinander schwingen können. Oben am bolzen B kann der Zündverteiler V angebracht werden, der dann mit dem Zylinder A rotiert. An der Außenwand des Zylinders A eingedrehte Spiralnuten sichern ausreichende Schmierung, auch die Kühlung ist gut; der Kornpressionsraum ließe sich leicht vorteilhaft gestalten. Ob die oberen Dichtungsflächen nicht infolge des großen Druckes und der hohen Temperatur fressen werden, mußte der praktische Betrieb erweisen. Textabbildung Bd. 325, S. 677 Fig. 35. Textabbildung Bd. 325, S. 677 Fig. 36. Textabbildung Bd. 325, S. 677 Fig. 37. Die englische Technical Products Co. baut einen Motor nach Fig. 36. Auf der Kurbelwelle zwischen je zwei Kurbeln sitzt ein Kegelrad G und treibt mittels Gehender Welle, Stirnrad P1, die mit dem Zylinder verbundene Stirnradverzahnung G1 an. Die Zylinder rotieren also; das Uebersetzungsverhältnis beträgt 4 : 1. Die Zylinder sind oben schwach konisch gedreht und passen in eine ähnliche Ausdrehung des feststehenden wassergekühlten Gehäuses; zwei eingelegte Dichtungsringe R verhindern den Durchtritt des Kühlwassers. Zwei gegenüberstehende Oeffnungen E im Zylinderkopf korrespondieren mit drei Oeffnungen E1 im Gehäuse, von denen zwei dem Auspuff, eine dem Einlaß dienen. Die beiden Auslaßkanäle öffnen nacheinander und gestatten eine schnelle Entleerung der Zylinder. Die Zündkerze ist so im Gehäuse angebracht, daß sie vor einer Oeffnung β steht, wenn die andere geschlossen ist. In Wirklichkeit sind die Oeffnungen nicht rund, wie gezeichnet, sondern länglich, so daß der Zündzeitpunkt in gewissen Grenzen verstellt werden kann. Die rotierenden Zylinder laufen in zwei Druckkugellagern B und B1; unter dem Lager B1 befinden sich Federn, die stets den Zylinder in den oberen Konus pressen, eine Schraube S mit Mutter L oben im Gehäuse dient zur Nachstellung. Radial werden die Zylinder geführt oben in dem erwähnten Konus und durch ein besonderes Gleitlager über dem Kugellager B1. Alle Lager, auch der Konus, werden mit Druck geschmiert. Wie sich die Dichtungen bei dem ausgeführten Motor bewährt haben, ist bis jetzt näheres nicht bekannt. Sehr zahlreich sind die Motoren mit rotierenden Schiebern im Zylinder oder besonderem Gehäuse vertreten. III 3. Drehschieber im Zylinder oder besonderem Gehäuse. a) Zwei Schieber für einen Zylinder. Einige Konstrukteure wenden zwei Drehschieber als Steuerung für einen Zylinder an, siehe z.B. den Motor von Segond (Fig. 37). A ist der Einlaßschieber, B der Schieber für den Auslaß. Die Art des Antriebes ist deutlich zu ersehen; bemerkenswert ist die Abdichtung der Schieber durch an den Enden eingelegte konische Dichtungsringe C. M. Alexandre wendet eine rotierende Scheibe A für den Auspuff und eine B für den Einlaß an; die erstere wird durch die Welle D, letztere durch die hohle Welle C betätigt (Fig. 38). Durch die Feder F mit Federtellern E werden die beiden Scheiben A und B ständig gegen ihren Sitz gepreßt, in demselben Sinne wirkt auch der Gasdruck im Zylinder; eine gegenseitige achsiale Verschiebung der Stange C und D ist ebenfalls ermöglicht. Diese Konstruktion lehnt sich augenscheinlich an die früher viel ausgeführte Steuerung mit hängendem Einlaßventil über dem Auslaßventil an; es scheint, als ob die Durchgangsquerschnitte für die Gase etwas beschränkt wären. Um schnelles Oeffnen und Schließen zu erhalten, schlägt die Daimler-Motorengesellschaft vor, nach Fig. 39a oben im Zylinderkopf zwei zueinander konzentrische sich entgegengesetzt drehende Schieber A und A1 anzuordnen. Die beiden Schieber haben Oeffnungen DD1, die durch die gegenläufige Bewegung sehr schnell vor den Oeffnungen B und C für Ein- und Auslaß öffnen und schließen. Fig. 39b zeigt eine Ausführungsform, bei der zwei Schieber A nebeneinander angeordnet sind. Der Zylinderkopf hat dann zwei Sitze, deren Oeffnungen B und C für Ein- und Auslaß mit den Kanälen D der Schieber korrespondieren. Textabbildung Bd. 325, S. 678 Fig. 38. Textabbildung Bd. 325, S. 678 Fig. 39a. Textabbildung Bd. 325, S. 678 Fig. 39b. III 3b. Ein Schieber für einen Zylinder. Textabbildung Bd. 325, S. 678 Fig. 40a. Textabbildung Bd. 325, S. 678 Fig. 40b. Textabbildung Bd. 325, S. 678 Fig. 40c. Dieselbe Gesellschaft ordnet auch nach Fig. 40 nur einen Drehschieber im Zylinderkopf an, dann hat der Sitz zwei Oeffnungen B und C für Ein- und Auslaß (Fig. 40b), denen eine Oeffnung D im Drehschieber gegenübersteht. Eine besondere Kühlung des Drehschiebers ist in vorgesehen. Hier rotiert der Schieber A zwischen zwei gut gekühlten Wänden; die Wasserkammern in der Zylinderhaube und im Zylindermantel sind miteinander Fig. 40c verbunden. Das Kühlwasser fließt bei F zu, und durch Rohr E in der hohlen Schieberwelle ab. Wegen der hohen Zylindertemperatur müssen Sitze und Schieber ziemlich klein gehalten werden, um Werfen zu verhüten; wenn auch das Abdichten wahrscheinlich ist, so bleibt doch abzuwarten, ob sich in der Praxis nicht Fressen der Schieber zeigen würde. Die Swift Motor Co. in Coventry verwendet ebenfalls nur einen Drehschieber a, der in einem wassergekühlten Gehäuse b rotiert, das neben oder über dem Zylinder liegt (Fig. 41). Der Drehschieber ist ein Hohlzylinder, der der Länge nach bei c aufgeschlitzt ist, um einen gleichmäßig elastischen Druck auf die Wand des Schiebergehäuses auszuüben. Die offene Seite des Hohlzylinders ist der Verbrennungskammer zugewandt, damit der Gasdruck den Schieber an die Gehäusewand anpressen kann und so auch bei Abnutzung abgedichtet wird. Der Drehschieber hat eine Oeffnung e, der zwei Oeffnungen f und g im Gehäuse für Ein- und Auslaß gegenüberstehen. Textabbildung Bd. 325, S. 678 Fig. 41. Der Schieber wird außer durch Wasser noch innen durch das angesaugte frische Gemisch gut gekühlt, nicht günstig ist der große schädliche Raum. Louis Renault setzt oben in den Zylinderkopf einen senkrechten Drehschieber A (Fig. 42), der in einem besonders gekühlten Gehäuse B rotiert. C ist der Gaseintritt, D der Auspuff. Die Anordnung ist der vorher erwähnten ganz ähnlich und hat dieselben Mängel; eine besondere Dichtung scheint hier nicht vorgesehen zu sein. Textabbildung Bd. 325, S. 678 Fig. 42. Textabbildung Bd. 325, S. 678 Fig. 43. Lewis-Motor. A Aluminiumwassermantel – B Schieberwellenlager – C Kühlwasserleitung zum Drehschieber – D Schraubenräder – E Wasserpumpe – F Schieberkanäle – G Wassergekühlter Drehschieber – H-Oelrohre für Schieberschmierung. Von ganz neuen Gesichtspunkten ist der bekannte Automobil-Ingenieur E. W. Lewis in Coventry bei der Konstruktion seines Motors mit rotierendem Schieber ausgegangen. Wie aus Fig. 43 zu ersehen, ist eine Steuerwelle über allen vier Zylindern gelagert und wird von der Kurbelwelle mit Schraubenrädern und senkrechter Welle angetrieben. Die Steuerwelle (Fig. 44) ist hohl und hat zwei Drehschieber, die mit vier passenden Oeffnungen für die vier Zylinder versehen sind. Aus dem Querschnitt (Fig. 44) kann man sehen, daß bei beständiger Rechtsdrehung des Schiebers erst Auspuff A, dann Einlaß E mit dem darunterliegenden Zylinder C verbunden werden, während für die beiden letzten Takte der Zylinder ganz abgeschlossen wird. In die hohle Steuerwelle tritt links bei C (Fig. 43) das Kühlwasser zur Kühlung der Drehschieber ein. Die paarweise gegossenen Zylinder (Fig. 45), die oben gleich das Gehäuse für die Drehschieber bilden, sind nicht, wie üblich, mit dem Kurbelkasten verschraubt, sondern ruhen mit dem Ansatz B unter Zwischenschaltung einer starken Gummiplatte auf dem Flansche A des Aluminiumkühlmantels (Fig. 46), der seinerseits mit dem Kurbelkasten verbolzt ist. Der Kühlmantel trägt auch an seinen Enden die Lager für die Drehschieberwelle, wie aus Fig. 43 ersichtlich. Außer der Wasserkühlung der Drehschieber hat Lewis noch eine ganz neue Abdichtung der Drehschieber angewandt, wozu die oben erwähnte eigenartige Verbindung des Zylinders mit dem Kühlmantel dient. Da die Zylinder sich wegen der Gummizwischenlage etwas achsial verschieben können, werden sie während Kompression und Explosion gegen die Drehschieber gepreßt und dichten sie ab. Die Verschiebung beträgt nur sehr wenig, etwa 0,025 mm. Die Zündkerze ist verlängert und ragt in die Mitte der kugelförmigen Verbrennungskammer. Eine Oelpumpe schmiert mit Druck die Drehschieber durch Oelrohr und neun Anschlüsse (Fig. 43). Textabbildung Bd. 325, S. 679 Fig. 44. Textabbildung Bd. 325, S. 679 Fig. 45. Textabbildung Bd. 325, S. 679 Fig. 46. Textabbildung Bd. 325, S. 679 Fig. 47. Außer der ausgezeichneten Kühlung der Drehschieber durch Wasser und frisches Gemisch ist besonders hervorzuheben die einfache Anpassung an jede Zylinderzahl und die gute Zugänglichkeit. Die eigenartige Abdichtung soll sich bei Motoren, die längere Zeit im Betriebe waren, bewährt haben. Eine ähnliche Anordnung wählt die bekannte französische Firma Vinot & Deguingaud (Fig. 47). Der Drehschieber läuft hier in einer Büchse A, wird aber durch Ringe abgedichtet, was nicht vorteilhaft erscheint; Einkerbungen im Drehschieber vermitteln den Gasdurchtritt vom Einlaß C oder Auslaß B nach dem Zylinder. Der hohle Drehschieber wird durch eingepreßte Luft gekühlt, die vom Ventilator geliefert wird. III 3c. Ein Schieber für zwei Zylinder. Einige Konstrukteure suchen die Zahl der Steuerorgane nach Möglichkeit zu vermindern, indem sie für je zwei zusammengegossene Zylinder nur einen Drehschieber verwenden. Textabbildung Bd. 325, S. 679 Fig. 48. Einen derartigen Motor von J. B. Kingschen wir in Fig. 48. Von der mit halber Geschwindigkeit laufenden wagerechten Steuerwelle E aus werden die Drehschieber durch Kegelräder, senkrechte Wellen D1 angetrieben und zwar rotieren beide Schieber in entgegengesetzter Richtung. Zu jedem Zylinder führt ein senkrechter schmaler Kanal C im Schiebergehäuse. Ein einfaches Saugrohr A führt vom Vergaser zu den Einlaßkammern A1 auf dem oberen Teil des Schiebergehäuses, während B die Auspuffleitung ist. Die kleinen Rohre F und F1 dienen zur Schmierung der Drehschieber; bemerkenswert ist die vollständige Einkapselung des Antriebes. Textabbildung Bd. 325, S. 679 Fig. 49. Textabbildung Bd. 325, S. 679 Fig. 50. Die Konstruktion der Drehschieber ist aus Fig. 49 ersichtlich. D1 ist die Antriebswelle, D der besonders geformte Schieber, in den die frischen Gase von oben durch A1 eintreten; der Auspuff erfolgt unten bei B. Den Uebergang zwischen den schmalen senkrechten Kanälen im Schiebergehäuse und den zweckmäßig wagerechten schmalen Eintrittsöffnungen C im Zylinderkopf vermitteln die Zwischenstücke C1. Sie sind innen wie Kolben geformt, auch mit Dichtungsringen versehen und können in ihrem Sitz hin- und hergleiten, so daß sie während Explosion und Kompression gegen die Drehschieber gepreßt werden, und gasdicht abschließen. Der Schieber D (siehe Querschnitt Fig. 49) rotiert in der Uhrzeigerrichtung; dann beginnt beim Zylinder I gerade der Auspuffhub, während im Zylinder II der Auspuffhub soeben beendigt ist und der Saughub anfängt. Es bleibt abzuwarten, ob im praktischen Betriebe die eigenartigen Abdichtungen der Drehschieber sich berühren, und ob die Reibungsverluste bei der Rotation der Schieber nicht ziemlich hoch sind. C. Wridgway in New-York ordnet ebenfalls zwischen zwei zusammengegossenen Zylindern einen von senkrechter Welle angetriebenen Drehschieber B an (Fig. 50), der aber Kugelform hat. F ist das Saugrohr, dessen Mündung G mit den beiden Kanälen HH1 im Zylinder (siehe Querschnitt) in Verbindung steht; ebenso die Mündung des Auspuffrohres E. Der Drehschieber B hat zwei Aussparungen C und D, die so angebracht sind, daß D mit der Mündung G des Einlaßrohres F, aber nicht mit dem Auspuffrohr, C dagegen nur mit der Mündung des Auspuffrohres E kommunizieren kann. Dichtungsringe A sollen gasdichten Abschluß der Schieber sichern. Der kugelige Drehschieber wird sehr schwierig herzustellen und zu kühlen sein, der schädliche Raum wäre sehr gering. Mit der Erörterung dieser Konstruktion beschließen wir unsere Ausführungen, welche, wie wir hoffen, eine möglichst vollständige Uebersicht über die zurzeit bestehenden neuen Bestrebungen in der Fahrzeugmotorentechnik gewähren.