Titel: Sechsachsiger Wechselstrom-Doppeltriebwagen 2./3. Kl.
Autor: C.
Fundstelle: Band 340, Jahrgang 1925, S. 92
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Sechsachsiger Wechselstrom-Doppeltriebwagen 2./3. Kl. SEEMANN, Zugfedern mit und ohne Vorspannung. Textabbildung Bd. 340, S. 91 Abb. 1. Gesamtansicht des Zuges. Am 7. 2. 25 veranstaltete die Reichsbahndirektion Altona eine bemerkenswerte Sonderfahrt auf der Strecke Hamburg-Poppenbüttel, bei der es sich darum handelte, den geladenen Gästen – Fachleuten, wie Vertreternvon Handel und Industrie – eine neue Art der Zugzusammenstellung vorzuführen, die im einzelnen einschneidende Neuerungen auf eisenbahntechnischem, wie elektrotechnischem Gebiete mit sich brachte. Der Probezug (Abb. 1) war aus Doppeltriebwagen (Abb. 2 und 3) zusammengesetzt, deren Einzelwagen durch das „Gelenkdrehgestell Bauart Jacobs und Görlitz“ miteinander verbunden sind. Textabbildung Bd. 340, S. 91 Abb. 2. Sechsachsiger Wechselstrom-Doppeltriebwagen. Die Probefahrt zeigte, daß die in die Neukonstruktion gesetzten Erwartungen voll und ganz erfüllt wurden. Die neuen eisernen Wagen laufen im Gegensatz zu den bisher in Hamburg verkehrenden hölzernen Vorortwagen der älteren Bauart außerordentlich weich und ohne zu schleudern. Sie haben somit als wesentliche Verbesserung der großstädtischen Verkehrseinrichtungen zu gelten. Die Wagen, welche von der Waggon- und Maschinenbauanstalt Görlitz in enger Verbindung mit dem Eisenbahnzentralamt konstruiert und zum großen Teile auch in Görlitz gebaut wurden, sind bestimmt für den Betrieb der Hamburger Stadt- und Vorortbahnen. Sie werden hier insbesondere auf der Strecke Hamburg-Poppenbüttel verkehren, auf der mit dem Anfang Februar der bisherige Betrieb durch Dampflokomotiven sein Ende gefunden hat. Textabbildung Bd. 340, S. 92 Abb. 3. Sechsachsiger Wechselstrom-Doppeltriebwagen. Die hauptsächlichsten Angaben für die ganz in Eisen hergestellten Wagen sind folgende: Kastenlänge des Einzelwagens 14222 m/m Lange des ganzen Doppelwagenzuges über      die Puffer gemessen 30000   „ Breite des Wagenkastens   2550   „ Radstände:       Triebgestell   2500   „       Gelenkgestell   3500   „       Laufgestell   2500   „ Spurweite   1435   „ Gewicht des betriebsfertigen Doppelwagens 66000 kg. Textabbildung Bd. 340, S. 92 Abb. 4. Laufwerk. Das Laufwerk (Abb. 4) besteht aus: 1 Triebgestell mit 2 eingebauten Wechselstrommotoren unter dem Triebwagen (Abb. 5); 1 Gelenkdrehgestell Bauart Jakobs und Görlitz unter Trieb- und Beiwagen (Abb. 6) und 1 Laufgestell unter dem Beiwagen (Abb. 7). Textabbildung Bd. 340, S. 92 Abb. 5. Triebgestell mit eingebauten Motoren. Durch die Verwendung des Gelenkdrehgestelles Bauart Jakobs und Görlitz wird der gute, weiche Lauf von Drehgestellwagen erreicht, obwohl nur 3 Drehgestelle unter den beiden Wagen vorhanden sind. Außerdem tritt eine Ersparnis an Zuglänge insofern ein, als der Abstand der Stirnwände über dem Gelenkdrehgestell nur so groß zu sein braucht, als durch den Ausschlag in kleinsten Krümmungen notwendig ist. Auch die Möglichkeit, lange und gut wirkende Blatt federn im Gelenkdrehgestell unterbringen zu können, bedeutet einen erheblichen Vorteil. Textabbildung Bd. 340, S. 92 Abb. 6. Gelenkdrehgestell Bauart Jakobs und Görlitz. Im äußeren Aufbau entsprechen die Wagen den für die neuen eisernen Einheitspersonenwagen der Deutschen Reichsbahn geltenden Bestimmungen. Das eiserne Untergestell ist durch Nietung mit dem gleichfalls eisernen Gerippe fest verbunden. Letzteres ist außen mit auf die Saulen aufgenieteten Blechen bekleidet. Durch diese Konstruktion wird die Seitenwand tragend, so daß besondere Sprengwerke unter den Langträgern sich erübrigen. Das Dach ist als Tonnendach ausgebildet. Für den Fußboden, der nicht auf den Drehpfannenträgern auflagert, wodurch eine Übertragung der Schienenstöße vermieden und ein erschutterungsfreier Gang gewährleistet wird, für die innere Seitenwandverschalung, die Dachverschalung und die Zwischenwände ist Holz verwendet worden. Das Dach ist zum Schütze gegen die unter Hochspannung stehende Fahrdrahtleitung mit verbleitem Eisenblech abgedeckt. Im Triebwagen sind untergebracht: 5 Abteile 3. Kl., 1 Gepäck- und 1 Dienstabteil; im Beiwagen 4 Abteile 2. Klasse (Abb. 8), 2 Abteile 3. Klasse (Abb. 9) und 1 Dienstabteil. In den Dienstabteilen sind alle für die Führung des Zuges erforderlichen Einrichtungen, Bedienungsapparate und Meßinstrumente untergebracht. Hier hat außer dem Zugführer auch der Zugbegleiter seinen Platz erhalten. Im übrigen entsprechen Ausstattung und Einrichtung der Wagen den besonderen Anforderungen des großstädtischen Massenverkehrs. Die von der Firma Brown, Boveri & Cie., Mannheim, gelieferte elektrische Ausrüstung der Wagen entspricht im wesentlichen derjenigen der älteren Hamburger Wagen, jedoch sind an der Schaltung, wie auch an bestimmten elektrischen Apparaten einige bemerkenswerte Verbesserungen vorgenommen worden. Textabbildung Bd. 340, S. 93 Abb. 7. Laufgestell unter Beiwagen. Von den beiden zusammengehörigen Wagen nimmt einer das Triebgestell mit den Motoren und dem Transformator auf, während der andere mit dem Luftkompressor, dem Luftbehälter und den zugehörigen Nebenapparaten ausgerüstet ist. Führerstände besitzen beide Wagen. Der hochgespannte Einphasen-Wechselstrom von 6000 Volt und 25 Perioden wird durch 2 auf dem Dache des Triebwagens befindliche Doppelbügelstromabnehmer dem Fahrdraht entnommen und über einen Geschalter zu den unter dem Wagenkasten befestigten Transformator geleitet. Die Aufrichtung der Bügel-Stromabnehmer erfolgt durch Druckluft. Textabbildung Bd. 340, S. 93 Abb. 8. Abteil 2. Klasse. Der Oeltransformator hat eine Dauerleistung von 200 KVA. Auf seiner Unterspannungsseite werden durch Anzapfen verschiedener Spulen die verschiedenen Motorspannungen abgenommen, um Geschwindigkeit und Zugkraft regeln zu können. Der Transformator ist mit Kühltaschen versehen, durch die während der Fahrt Luft hindurchstreichen kann. Durch den natürlichen Auftrieb der warmen Luft wird auch während des Haltens eine Kühlwirkung erzielt. Durch diese Einrichtung ist es möglich geworden, die Dauerleistung des Transformators gegen früher um das Doppelte zu steigern. Zwischen den Transformatoranzapfungen und den Motorenliegen die Leistungs- und Fahrtwenderschützen, die eine Neukonstruktion der ausführenden Firma darstellen und trotz kleinster Ausmaße und geringster Wartung unbedingt zuverlässig arbeiten. An Stelle der Kabel sind als stromführende Verbindungen blanke Kupferschienen verwendet worden, die unter dem Wagenboden liegen (Abb. 10) und durch einfache Holzspriegel und Schellen gehalten werden. Hierdurch wurde eine wesentliche Vereinfachung und Erleichterung bei der Anlage und bei etwa erforderlich werdenden Auswechselungen, sowie durch den Fortfall von Ueberschlägen eine erhöhte Betriebssicherheit erreicht. Textabbildung Bd. 340, S. 93 Abb. 9. Abteil 3. Klasse. Die Motoren sind Einphasen-Reihenschlußmotoren mit phasenverschobenem Hilfsfeld mit Eigenlüftung durch ein auf der Kollektorseite befindliches Lüfterrad. Die Kühlluft wird zur Vermeidung des Eintretens von Bremsstaub seitlich der Wagenwand entnommen. Textabbildung Bd. 340, S. 93 Abb. 10. Für Steuerzwecke wird die Anzapfung 300 Volt des Transformators benutzt, womit die Fahrtwender- und Leistungsschützen betätigt werden. Die elektrische Heizung des Wagens ist nur bei Nullstellung des Fahrtschalters eingeschaltet. Ihre Steuerung erfolgt durch ein im Führerstande zu betätigendes Heizungsschütz. Die Beleuchtung wird durch einen Lichtstromtransformator 300/40 Volt bewirkt. Der Antriebsmotor für den Luftkompressor wird durch ein besonderes Pumpenschütz in Gang gesetzt. Die erzeugte Druckluft dient zur Betätigung der Bremse, der Bügelaufrichtung und der Signalhupe. C.