Titel: Vor- und Nachteile der Treibkettenantriebe.
Autor: Hawira
Fundstelle: Band 341, Jahrgang 1926, S. 72
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Vor- und Nachteile der Treibkettenantriebe. WINKELMANN, Vor- und Nachteile der Treibkettenantriebe. Für die Kraftabgabe von schnellaufenden Kraftmaschinen aller Art, Elektromotoren usw. auf Werkzeug- und Arbeitsmaschinen, insbesondere solchen, die unter hoher Wärmeausstrahlung arbeiten, wie Rost- und Ekonomiserantriebe, aber auch für Antriebe vom Kältemaschinen sowie für feuchte Antriebe der Textil- und Papierindustrie, werden in neuerer Zeit vielfach Treibketten statt Riemen oder Seile verwendet. Die mit Treibketten gemachten Erfahrungen sind indessen trotz Verwendung präzis gearbeiteter Fabrikate nicht überall gut gewesen, so daß es angebracht erscheint, auf die Vor- und Nachteile etwas näher einzugehen und insbesondere hierbei auf die Betriebsvoraussetzungen derartiger Treibketten-Antriebe hinzuweisen, die unbedingt beachtet werden müssen, wenn man keine Fehlschläge erleiden will. Der Grundgedanke, der zur Herstellung der Treibkette als Kraftübertragungsmittel geführt hat, ist in dem Bestreben zu suchen, die bei den bisherigen Kraftübertragungsmitteln vorhandenen mehr oder weniger großen Kraftverluste niedriger zu halten, bzw. den Wirkungsgrad zu erhöhen. So arbeiten bekanntlich richtig berechnete und gut ausgeführte Riemen- und Seiltriebe mit einem Verlust von etwa 4–6%, Zahnradtriebe ebenfalls bei guter Ausführung mit mindestens 4–6% Verlust, ohne Berücksichtigung, daß die Verluste, je nach Zustand und Wartung der betreffenden Anlage oft größer ausfallen werden. Es lag somit nahe, auch aus diesen Erwägungen heraus nach einem Kraftübertragungsmittel zu suchen, welches bei hohem Wirkungsgrad trotzdem die wohl in jedem Betriebe geforderte hohe Betriebssicherheit verbürgt. Die ersten Treibkettentriebe für Kraftübertragungszwecke wurden in Nordamerika und England hergestellt. Die teilweise patentierten Konstruktionen werden jedoch bereits seit vielen Jahren auch in Deutschland hergestellt und einige Firmen besitzen inzwischen auch eigene Ausführungsformen, wie überhaupt der Treibkettenbetrieb in jüngster Zeit ganz wesentlich verbessert werden konnte. Die Vorteile der Treibkettentriebe vor anderen Kraftübertragungsmitteln sind im wesentlichen: 1. Hoher Wirkungsgrad. Dieser beträgt, sorgfältige Schmierung mit einwandfreiem Oel vorausgesetzt, etwa 98%. 2. Die hierdurch gegebene, um etwa 2–6% größere Arbeitsleistung gegenüber Riemen- und Seiltrieben, der zugleich einer Lohnersparnis für die mit Treibkette angetriebene Maschine usw. entspricht. 3. Die gleichmäßigere Durchzugskraft, auch bei stark beanspruchtem Antriebe. Treibkettentriebe liefern bei Werkzeugmaschinenantrieben eine sichtbar saubere Arbeit, da bei plötzlich auftretenden Widerstandsänderungen, z.B. beim Vorschub der Werkzeuge, kein Gleiten, wie bei Riemen usw., und mithin auch kein Zurückfedern der Werkzeuge stattfinden kann. Es werden somit auch die letzteren durch den Treibkettenantrieb unmittelbar geschont. Die Erzielung einer gleichmäßigeren Durchzugskraft ist oft auch bei anderen Antrieben, vielfach bei solchen, die von einem Elektromotor nicht unmittelbar angetrieben werden dürfen, erwünscht. Der Treibkettenantrieb hat sich auch besonders in der elektrotechnischen Industrie viele Freunde erworben. 4. Die Möglichkeit, kurze Achsenabstände zu verwenden, was zur Raumersparnis führt. Dieser Vorteil ist nicht nur wesentlich für den Antrieb von Werkzeugmaschinen und anderen Arbeitsmaschinen, Wellensträngen usw., die beispielsweise von einem Elektromotor angetrieben werden, sondern auch dort, wo dadurch Zahnradgetriebe mit ihren meistens großen Kraftverlusten und der Notwendigkeit, bestimmte Mittenabstände unbedingt einzuhalten, in Fortfall kommen können. Im Gegensatz zum Riementrieb kann der Treibkettenantrieb selbst bei einem Uebersetzungsverhältnis von 1 : 6 noch hängend, also weniger gespannt, angeordnet werden, während Riemen bei normalen Breiten in diesem Falle sehr stramm gespannt sein müßten, wodurch aber bekanntlich der Lagerdruck sehr ungünstig beeinflußt wird. 5. Die geringe Abnutzung der Maschinenlager, was sich aus dem unter 4 Gesagten ergibt. 6. Der stets gleichmäßig verteilten Belastung auf die ganze Zahnreihe, die zwischen Eingriffs- und Austrittspunkt der Kette liegt, im Gegensatz zu Zahnradantrieben, bei welchen theoretisch die ganze Belastung nur von einem Zahn aufgenommen werden muß. 7. Der geräuschlose Gang im Gegensatz zu vielen Zahnradtrieben. Im allgemeinen ist bei Treibkettentrieben das Geräusch nicht größer, wie bei den mit gleicher Geschwindigkeit laufenden Lederriemen. 8. Die Verwendbarkeit der Treibkettenantriebe an feuchten, warmen, schmierigen und staubigem Stellen, welche die Verwendung anderer Kraftübertragungsmittel nicht zulassen. 9. Treibkettenantriebe unterliegen weit weniger der Entwendung, als besonders Lederriemen, die leider immer noch mit Vorliebe gestohlen werden. Als Nachteile der Treibkettenantriebe müssen dem oben Gesagten aber auch gegenübergestellt werden: 1. Die immer noch zu hohen Anschaffungskosten, die zwar im Verhältnis zum Lederriemenantrieb um so günstiger werden, je ungünstiger die Antriebsverhältnisse liegen. 2. Die von vielen Lieferanten gewünschte Verstellbarkeit der Achsenentfernung, welche beispielsweise beim Elektromotorenantrieb mit Riementrieb leichter durchführbar ist. 3. Die nur bis zu 7 m/sek zulässige Geschwindigkeit der Treibkette, da anderseits der Verschleiß sehr stark ins Gewicht fällt. Eine höhere Geschwindigkeit ist nur bei kleinen Teilungen der Treibkette zulässig und wenn diese hierbei dauernd im Oelbad läuft. Im übrigen aber sind Treibkettenantriebe bereits für Umlaufzahlen bis zu 3000 ausgeführt worden. 4. Höhere Unfallgefahr der kleinen Treibkettenantriebe, im Gegensatz zu schmalen Riemen gleicher Geschwindigkeit. Bei größeren Treibkettenantrieben kommt dieses Moment für die Gegenüberstellung mit anderen Kraftübertragungsmitteln weniger in Betracht. 5. Größerer Zeitaufwand für die Reparatur nach dem Reißen der Treibkette gegenüber Riemen. Im allgemeinen reißen indessen die Treibkettenantriebe, immer vorausgesetzt, daß sie sachgemäß entworfen und eingebaut sind, weniger leicht und es können deren Enden, je nach der Konstruktion des Verbindungsschlosses und der Art der Kettenführung ebenfalls schnell wieder verbunden werden. 6. Die Unmöglichkeit, Treibkettenantriebe im gleichen Sinne, wie Stufenriemenscheiben, verschiebbar einzurichten, oder ähnlich wie bei den festen und losen Scheiben. Zur Erzielung des gleichen Endzweckes müssen Kettentriebe vielmehr als Reibungskupplung für das eine Kettenrad ausgebildet werden, wodurch aber die Herstellungskosten ungünstiger werden, als beim Riementrieb. 7. Abhängigkgeit vom gleichen Lieferanten, was besonders beim Auftreten einer plötzlichen Störung unangenehm sein kann. Riemen und Riemenscheiben sind im allgemeinen, besonders aber im Notfall, wenn auch nicht neu, so doch aber meistens in gebrauchtem Zustande schneller zu erhalten, als eine Ersatzkette bezw. Ersatzkettenrad. Wie beim Riemen- und Seiltrieb sind auch beim Treibkettenantrieb die miteinander arbeitenden Wellen genau parallel zueinander und mit möglichst wenig seitlichem Spiel einzubauen. Ferner müssen die Kettenräder ebenfalls genau einander gegenüberliegen. Die beim Kiemen- und Seiltrieb durch die Kraftübertragungsorgane gegebene Federung, ein Vorteil von nicht zu unterschätzender Bedeutung, wird bei den Treibkettenantrieben durch federnde Kettenräder erzielt. Diese werden hauptsächlich für Kraftübertragungen mit häufig auftretenden Stößen oder plötzlich starken Ueberlastungen verwendet, um die Kette zu schonen. Eine derartig federnde Kettenradkonstruktion (Patent Morse der Westinghouse-Eisenbahnbremsen-Gesellschaft) besteht aus einer auf die Welle gekeilten Stahlscheibe, auf deren Umfang der eigentliche Zahnkranz des Kettenrades lose aufgepaßt ist. Letzterer hat am Umfang je nach Größe 6–8 gleichmäßig versetzte, längliche Aussparungen, in welchen Spiralfedern lose eingepaßt liegen. Die Verbindung der beiden Kettenradteile geschieht durch zwei seitlich angeordnete Flanschen, welche einmal mit genau eingepaßten Schrauben mit dem Scheibenteil des Rades verbunden sind, und außerdem der Größe der Feder entsprechende Taschen besitzen, die ebenfalls von beiden Seiten des Scheibenkörpers eine federnde Verbindung mit dem Zahnkranz herstellen. Für die Anordnung und Wartung von Treibkettenantrieben gelten folgende, allgemeine Hinweise: 1. Treibkettenantriebe sind, wie beim Riemen- und Seiltrieb möglichst in schräger Lage oder wagerecht liegend anzuordnen, damit das obere Trum das ziehende ist. Senkrechte Triebe sind nach Möglichkeit zu vermeiden und überhaupt nur zuverlässig, wenn zugleich eine verzahnte Spannrolle von mindestens 300 m/m Durchmesser an der Innenseite der Treibkette vorgesehen wird. Ferner sind zu vermeiden wagerecht laufende Treibketten auf senkrecht stehenden Wellen, da hierfür komplizierte Trag- und Spannrollen erforderlich werden, welche überdies die Anschaffungskosten sehr erhöhen. 2. Die Achsenentfernung soll möglichst nachstellbar eingerichtet werden. Zu diesem Zweck muß entweder die Antriebswelle mittels Spannschienen, wie beim Elektromotorenantrieb, verschiebbar gelagert sein, oder die Achsenentfernung der Lager durch Unterlagen sich verändern lassen. Am besten wird die Nachstellbarkeit durch Anordnung einer verzahnten Spannrolle erreicht, womit derselbe Endzweck – das Nachspannen der Treibkette – ebenfalls erzielt wird. Hierdurch geht indessen etwas Kraft verloren. 3. Das Uebersetzungsverhältnis der beiden Kettenräder kann bei kleinen Leistungen bis 1:10 und bei größeren Kraftübertragungen bis 1 : 6 betragen, wobei, wie beim Riemen- und Seiltrieb der Wirkungsgrad des kleineren Uebersetzungsverhältnisses günstiger ausfällt, als beim großen. Man verwende so weit als irgend möglich kleine Räder mit weniger als 13–15 Zähnen und für die kleinen Räder ungerade Zähnezahlen, um die Abnutzung von Rad und Kette auszugleichen. 4. Die Kettengeschwindigkeit soll im allgemeinen höchstens bis zu 7m/sek betragen. Bei kleineren Teilungen bis zu ½ Zoll kann bis zu 9 m/sek gegangen werden, wenn die Ketten in einem Oelbade laufen und vor allem eine sehr genaue, parallele Lage der Wellen und zentrale Lage der Kettenräder gesichert ist. 5. Bezüglich der Uebertragungsfähigkeit sind bereits Treibkettenantriebe für Leistungen bis zu 700 PS ausgeführt worden, die in jeder Hinsicht einwandfrei laufen. 6. Die höchste zulässige Umlaufzahl beträgt 3000 in der Minute, kommt also in der Praxis nur selten in Betracht und muß bei den höheren Leistungen entsprechend herabgesetzt werden. 7. Die Spannung der Treibkettenantriebe richtet sich in der Hauptsache nach der Länge des betreffenden Antriebes. Im allgemeinen können die Treibketten etwas weniger gespannt laufen, als Riemen bei kurzen Achsenabständen. Ein etwas zu reichliches Durchhängen der Treibkette, auch nach erfolgter Dehnung, hat keinen Einfluß auf den Lauf derselben. Bei senkrechten Antrieben muß die Kettenspannung öfters kontrolliert werden. Das Kettenschloß soll als schwächster Teil der Kette ausgebildet sein, damit ein Reißen derselben nur an dieser Stelle stattfinden und der beschädigte Teil leicht und schnell ausgewechselt werden kann. Obgleich die Ketten der Treibkettenantriebe keine unmittelbar vorspringenden Teile besitzen, welche ein Mitnehmen besonders leicht befürchten lassen, ist es dennoch sehr zu empfehlen die Treibketten durch gut schließende Schutzkästen zu umwehren, um Unfälle zu vermeiden. Hierdurch wird zugleich ein Abschleudern von Schmieröl verhindert. Derartige Schutzkästen sollen entweder aufklappbar oder seitlich zu öffnen sein, damit die Ketten und Kettenräder zwecks Reinigung und Schmierung leicht freigelegt werden können. 8. Von größter Wichtigkeit ist die zuverlässige Reinigung und Schmierung der Treibkettenantriebe. Es empfiehlt sich die Treibketten nach bestimmten Zeiträumen bezw. Betriebsperioden regelmäßig abzunehmen und dieselben zwecks gründlicher Reinigung in ein Bad von Petroleum oder Terpentin oder ähnlichen Reinigungsölen zu legen. Erst nach dem Erweichen der Oelkrusten soll ein gründliches Ausbürsten der Kettenteile erfolgen. Darauf kann die Treibkette wieder eingebaut werden, worauf sie mit einem säurefreien Mineralöl oder besser Vaseline unter Zusatz von feinstem Flockengraphit frisch eingefettet werden muß, bevor sie wieder in Betrieb genommen wird. Das Auftragen des Schmierstoffs geschieht am besten mit einer besonderen Vaselineauftragbürste. Zum Schluß darf nicht unerwähnt bleiben, daß Treibkettentriebe nicht von jeder Maschinenbaufirma oder Transmissionsfirma geliefert werden können. Man wende sich ausschließlich an Firmen von Ruf, die über genügende Erfahrungen in der Ausführung derartiger Treibkettenantriebe verfügen. Für die Herstellung der Ketteneinzelteile sind nicht nur besonders ausgeprobte Rohstoffe erforderlich, sondern auch Spezialmaschinen, die nicht jede Maschinenfabrik besitzt. Der Vorteil der Treibkettenantriebe liegt aber im wesentlichsten gerade in der überaus präzisen Herstellungsart der Einzelteile, die von Hand hergestellt niemals die oben geschilderten Vorzüge erreichen lassen. Es ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß die Verwendung der Treibkettenantriebe in dem Maße zunehmen wird, wie die Mechanisierung der einzelnen Industrieen zunimmt. Hinderlich für eine schnellere Einführung ist lediglich der immer noch viel zu hohe Preis, der aber sicherlich sich ebenfalls in dem Maße verringern wird, wenn einmal der Absatz steigt und ein größerer Wettbewerb eintritt. Auch vom nationalwirtschaftlichen Standpunkt betrachtet wäre es zu begrüßen, wenn die Fabrikation derartiger Treibkettentriebe einen wesentlich größeren Umfang in Deutschland annähme, da abgesehen von den Vorteilen der Herstellung eines Edelproduktes mehr, die dadurch verringerte Einfuhr von Leder bezw. Rohhäuten in Rechnung zu stellen ist. Hawira.